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Publicly Available Published by De Gruyter April 17, 2020

Fabricius-Hansen, Cathrine; Solfjeld, Kåre; Pitz, Anneliese: Der Konjunktiv. Formen und Spielräume. Tübingen: Stauffenburg, 2018 (Stauffenburg Linguistik, 100). – ISBN 978-3-95809-521-2. 270 Seiten, € 44,80.

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Rezensierte Publikation:

Fabricius-Hansen, Cathrine; Solfjeld, Kåre; Pitz, Anneliese: Der Konjunktiv. Formen und Spielräume. Tübingen: Stauffenburg, 2018 (Stauffenburg Linguistik, 100). – ISBN 978-3-95809-521-2. 270 Seiten, € 44,80.


Die hier besprochene Monographie über den deutschen Konjunktiv ist von drei an norwegischen Hochschulen tätigen AutorInnen verfasst, von denen vor allem Fabricius-Hansen, Mitautorin der Duden-Grammatik (2005), einem breiteren Fachpublikum bekannt sein dürfte. Das Buch setzt sich zum Ziel, „den deutschen Konjunktiv in seinen vielen Erscheinungsformen, Anwendungsbereichen und Nuancen zu erfassen“ (Klappentext). Tatsächlich gewinnt der interessierte Leser ein umfassendes und differenziertes Bild der „verwirrende[n] Vielfalt und Komplexität des Tempus-Modus-Gebrauchs der deutschen Schriftsprache“ (200). Die Darstellung, die auch den Indikativ einbezieht (besonders in der indirekten Wiedergabe) und sich auf ein umfangreiches Belegmaterial aus verschiedenen Korpora und Quellen stützt, fasst den aktuellen Forschungsstand kohärent zusammen, vermittelt aufschlussreiche Einblicke in die Materie, z. T. auch unter Rückgriff auf kleinere, explorative Korpusrecherchen, und formuliert eine Vielzahl von Desiderata für die weitere Forschung.

Das Buch umfasst insgesamt 9 Kapitel. Nach einem kurzen Vorwort befassen sich die ersten beiden Kapitel mit grundlegenden Fragen des Formenbestands und der Funktionsbestimmung des Konjunktivs. Das 3. Kapitel ist dem irrealen Konjunktiv gewidmet, während in Kapitel 4–8 Tempus und Modus der indirekten Wiedergabe im Mittelpunkt stehen. Kapitel 9 zieht eine Bilanz. Das Buch enthält ein Inhalts-, Abbildungs-, Tabellen- und Literaturverzeichnis, aber leider kein alphabetisches Stichwortregister. Oft werden Teilthemen (in einer Art konzentrischer Progression) sukzessive vertieft, z. B. gibt es Abschnitte zur würde-Konstruktion in Kapitel 1, 6 und 9.

Kapitel 1 ist dem Formenbestand des Konjunktivs, insbesondere der Modusambivalenz und ihrer theoretischen Interpretation gewidmet. Es wird diagnostiziert, „dass der Konjunktiv als finite Konjugationskategorie in der heutigen Standardsprache auf schwachen Füßen steht“ (7), zumal eindeutige Formen (Konjunktiv Präteritum der stark flektierenden Verben) häufig ungebräuchlich sind. Die interessante Frage, ob im Deutschen eine ähnliche Modusreduktion vorliegt wie in den germanischen Vergleichssprachen Norwegisch und Englisch, wird aber verneint. Weitere Themen sind die würde-Konstruktion und die Grundbegriffe des deutschen Tempussystem (Indikativ I, II, Sprech-, Ereignis-, Referenzzeit u. a.).

Der Überblick über die Funktionen des Konjunktivs in Kapitel 2 basiert auf drei von Jørgensen vorgeschlagenen Parametern: a) Austauschbarkeit der beiden Konjunktive (z. B. nach als ob) vs. Nicht-Austauschbarkeit, b) Abhängigkeit (sog. harmonischer Konjunktiv z. B. nach damit) vs. Nicht-Abhängigkeit, c) Zentralität der Funktion (irrealer und Indirektheitskonjunktiv) vs. Peripherizität. Die (eher) peripheren Funktionen, z. B. der volitive Konjunktiv I (Mein Name sei Gantenbein) oder der Konjunktiv in Finalsätzen, werden hier abgehandelt, die zentralen Funktionen in Kapitel 3–8.

Im 3. Kapitel („Der irreale Konjunktiv“) vertreten Fabricius-Hansen et al. einen weiten Begriff von Irrealität, der Kontrafaktizität und Potentialität umfasst. Kontrafaktizität liegt vor bei Vergangenheitsbezug und Konjunktiv Präteritumperfekt (Er wäre gern gekommen.), Potentialität bei Konjunktiv Präteritum/würde-Konstruktion und Bezug auf Gegenwärtiges (wissensbasierte Potentialität: Wenn er im Raum wäre, würde er sich sicher melden.) oder Zukünftiges (Wenn diese Regulierungen kämen, ...). Im Einzelnen werden irreale Bedingungsgefüge, Deklarativsätze, Wunschsätze und der höfliche Konjunktiv besprochen. Es folgen die „abhängigen“ irrealen Konjunktive nach fast, beinahe usw. und in nicht-konditionalen Nebensätzen (z. B. nach ohne dass), ein Abschnitt zu den Tempora des irrealen Konjunktivs (Reduktion auf ein zweigliedriges Tempussystem: Vergangenheit vs. Nicht-Vergangenheit) sowie ein kontrastiver Ausblick auf andere germanische Sprachen.

Die Kapitel 4–8 zum Konjunktiv (und Indikativ) in der indirekten Wiedergabe bilden den Schwerpunkt des Buches. Kapitel 4 präzisiert den Begriff der indirekten Rede(wiedergabe), grenzt ihn von der Gedankenwiedergabe ab, führt die Begriffe Autoren- und Figurenperspektive sowie „Verschiebung“ ein, differenziert (nach dem Grad der syntaktischen Selbstständigkeit) „abhängige“ und „unabhängige“ indirekte Rede (letztere auch: berichtete Rede) und beschreibt mit Hilfe graphischer Darstellungen das viergliedrige konjunktivische und das vier- bzw. sechsgliedrige indikativische Tempussystem der indirekten Wiedergabe. Indikativtempora sind ambig, können figural oder autoral verankert und z. T. auch aus beiden Perspektiven motiviert sein (double access)[1]. Schließlich werden semantisch-pragmatische und syntaktische Merkmale der prototypischen indirekten Rede (abhängige Verbletzt- oder Verbzweitsätze, berichtete Rede) und Abweichungen vom Prototyp (z. B. präpositionale Quellenangaben mit laut, zufolge; eingeschobenes oder angehängtes Inquit-Element) vorgestellt. Insgesamt erscheinen die vorgeschlagenen Differenzierungen sehr gut geeignet, Licht in das Dickicht von Rede- und Gedankenwiedergabeformen zu bringen. Einzig der Begriff der „abhängigen“ indirekten Rede erscheint allzu formal, da er die semantisch-pragmatischen Gemeinsamkeiten von „abhängigen“ und „unabhängigen“ Verbzweitsätzen ausblendet (vgl. Paschke 2018).

Das 5. Kapitel ist der Alternative Indikativ vs. Konjunktiv in der indirekten Wiedergabe gewidmet, wobei sowohl die Äquivalenz- wie die Differenzthese widerlegt werden (auch wenn der Konjunktiv zum Zwecke der Distanzierung pragmatisch genutzt werden kann, vgl. 155). Die AutorInnen untersuchen insbesondere, welche Rolle die Semantik des übergeordneten Prädikats (z. B. faktive, nicht-faktive, anti-faktive Verben, Rede- oder Gedankenprädikate) und der Grad der syntaktischen Abhängigkeit der Wiedergabe bei der Moduswahl spielen. Dabei werden, oft mittels kleiner Korpusrecherchen, traditionelle Vorstellungen revidiert (z. B. dass faktive Verben wie loben oder bedauern nur Indikativ lizensieren: Konjunktiv löscht nämlich ihre Faktizität), vor allem aber werden zahlreiche Forschungsdesiderate deutlich. Insgesamt gelingt es den AutorInnen, ein hoch differenziertes Bild des komplexen Zusammenspiels von Prädikatstyp, syntaktischer Einbettung und Moduswahl zu zeichnen, auch wenn aus meiner Sicht die Tatsache, dass konjunktivische Verbzweitsätze den Satzmodus der Figurenrede implizit, d. h. formgleich, wiedergeben, nicht ausreichend gewürdigt wird. Nur so ist z. B. zu erklären (128 f.), warum sich Verbzweit-Wiedergaben schlecht mit inhärent negierten Prädikaten (*Sie bestritt, sie sei minderjährig. vs. Sie bestritt, dass sie minderjährig sei.) und mit Verben der Aufforderung u. Ä. vertragen (*Der Chef bat Max, er bleibe länger. vs. Der Chef bat Max, dass er länger bleibe.). Eine übersichtliche Tabelle (156) mit den Konjunktiv bzw. Indikativ favorisierenden Faktoren bildet den Abschluss des Kapitels.

Kapitel 6 setzt sich mit der Frage auseinander, was die Wahl zwischen Konjunktiv I und II steuert, insbesondere, ob der Konjunktiv II eine Distanzierung von der Figurenrede ausdrückt. Die AutorInnen konzedieren, dass Redeanführungen, die ohnehin eine autorale Skepsis beinhalten (z. B. sich einbilden, vorgeben usw.) eventuell einen ‚harmonischen‘ Konjunktiv II begünstigen. Ob aber unabhängig davon der Konjunktiv II eine Distanzierung ausdrückt, müsse in psycholinguistischen Experimenten überprüft werden. Außerdem könne der Konjunktiv II durch das umgangssprachliche Register oder das Bedürfnis nach Variation bedingt sein. Wichtig ist der Abschnitt über die doppelte – reportive oder irreale – Lesart von KII-Formen in Wiedergabekontexten (Sie meint, das wäre schön. à Sie meint: „Das ist schön.“/„Das wäre schön.“). Schließlich werden die verschiedenen Funktionen der würde-Konstruktion in der indirekten Wiedergabe erörtert.

Kapitel 7 beschäftigt sich mit dem Indikativ in der indirekten Wiedergabe, vor allem in präteritalen Kontexten, weil (nur) hier die figurale („Ich bin zu Hause.“ à Sie sagte, sie ist zu Hause.) oder autorale Verankerung der Tempora (à Sie sagte, dass sie zu Hause war.) deutlich zu Tage tritt. Entgegen den Annahmen in Referenzgrammatiken gibt es keine Evidenz dafür, dass in abhängiger indirekter Wiedergabe die figurale Verankerung überwiegt, begünstigt wird sie aber durch Verbzweitsätze. Umgekehrt ist autorale Verankerung („Tempustransposition“) nach Verba cogitandi, trotz der Affinität mit erlebter Rede, nicht häufiger als bei Verba dicendi. Diese Aussagen beruhen aber lediglich auf ersten, kursorischen Korpusrecherchen, weitere Studien sind in jedem Fall notwendig, auch zur Textsorten- und Registerabhängigkeit des Indikativs.

Das 8. Kapitel fasst zunächst die Kapitel zur indirekten Wiedergabe zusammen, auch mit Hilfe von Tabellen bzw. graphischen Darstellungen (Zeitachse von Autor und Figur, Sprech-, Referenz- und Ereigniszeit). Es folgt ein kontrastiver Ausblick, der die Stellung von Deutsch als Standard Average European Language bestätigt, da es einerseits – wie die romanischen Sprachen – einen Konjunktiv aufweist, andererseits bei der indirekten Wiedergabe sowohl tempustransponierte Indikativformen (wie Englisch, Norwegisch, Französisch) als auch figural verankerte Indikativtempora (wie in slawischen Sprachen) kennt. Nach einer Klärung der Verhältnisse in den Vergleichssprachen werden mögliche Folgen für Textgestaltung und Übersetzen besprochen. Bei Übersetzungen ins Deutsche ist konjunktivische indirekte Wiedergabe häufig unterrepräsentiert, während in Übersetzungen aus dem Deutschen in die Vergleichssprachen kompensatorische Strategien (zur Verdeutlichung der figuralen Perspektive) wenig zum Einsatz kommen (vgl. auch Paschke 2013). Abschnitt 8.4 bietet einen kurzen Ausblick auf (semantik-)theoretische Beiträge, während 8.5 noch einmal Forschungsdefizite auflistet.

Kapitel 9 zieht Bilanz: Die Leistung des Konjunktivs wird darin gesehen, dass er „eine Brechung oder Aufhebung der Unmittelbarkeit der interpretativen Bezugnahme auf die beiden primären Koordinaten aktualer Sprecher und aktuale Welt“ (Zifonun et al. 1997: 1785) signalisiert. Es folgen Zusammenfassungen der Leistungen von Indikativ I und II, Konjunktiv I und II. Ein eigener Abschnitt (9.3) ist der würde-Konstruktion mit ihren zwei Anwendungen (irreal, reportiv) gewidmet. Was den Modus betrifft, ordnen die Autorinnen die Konstruktion sowohl dem Indikativ (z. B. bei figuraler Zukunft in der erlebten Rede) als auch dem Konjunktiv zu. Insgesamt kommen sie zu dem Schluss, dass die würde-Konstruktion quer zum Tempus-Modus-System des Deutschen steht. Ein letzter Abschnitt (9.4) beleuchtet die Nicht-Kompositionalität des deutschen Tempus-Modus-Systems, d. h., „Ebene (I und II) und Modus (Indikativ und Konjunktiv) sind als formal-morphologisch bestimmte grammatische Kategorien zu betrachten, denen – oder genauer: deren Kombinationen – erst in einem weiteren Analyseschritt Bedeutungen oder Funktionen zugeordnet werden“ (246).

Insgesamt ist dieses Buch allen, die sich in Verbmodus und indirekte Wiedergabe gründlich einarbeiten oder dazu forschen wollen, unbedingt zu empfehlen. Die AutorInnen zeichnen ein differenziertes Bild von Modus und Tempus (vor allem) in der indirekten Wiedergabe und machen deutlich, dass es ein Kontinuum von Formen zwischen den beiden Polen Autoren- und Figurenperspektive gibt. Hinsichtlich der Zusammenhänge zwischen syntaktischer Einbettung, Prädikatstyp, Modus und Tempus sowie indexikalischen Ausdrücken der indirekten Wiedergabe ist das Buch reich an überzeugenden Einsichten, macht aber auch deutlich, wie viel Forschungsbedarf noch besteht.

Literatur

Dudenredaktion (Hrsg.) (2005): Duden. Die Grammatik. 7. Auflage. Mannheim: Dudenverlag.Search in Google Scholar

Paschke, Peter (2013): „‚Quel maledetto discorso indiretto‘ – zur italienischen Übersetzung der berichteten Rede“. In: Hans-Bianchi, Barbara et al. (Hrsg.): Fremdes wahrnehmen, aufnehmen, annehmen. Studien zur deutschen Sprache und Kultur in Kontaktsituationen. Frankfurt am Main: Peter Lang, 143–158.Search in Google Scholar

Paschke, Peter (2018): „Satzmodus-Wiedergabe in der freien indirekten Rede“. In: Deutsche Sprache 46.2, 142–168.10.37307/j.1868-775X.2018.02.04Search in Google Scholar

Zifonun, Gisela; Hoffmann, Ludger; Strecker, Bruno (1997): Grammatik der deutschen Sprache. Band 3. Berlin: De Gruyter (= IDS-Grammatik).Search in Google Scholar

Online erschienen: 2020-04-17
Erschienen im Druck: 2020-04-08

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 23.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/infodaf-2020-0031/html
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