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Publicly Available Published by De Gruyter April 12, 2022

Cosentino, Gianluca: Grammatik der Prosodie für Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Erich Schmidt, 2019 (Studien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 7). – ISBN 978-3-503-18701-0. 227 Seiten, € 59,95.

  • Peter Paschke

Reviewed Publication:

Cosentino, Gianluca: Grammatik der Prosodie für Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Erich Schmidt, 2019 (Studien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 7). – ISBN 978-3-503-18701-0. 227 Seiten, € 59,95.


Die Prosodie führt nach wie vor ein Schattendasein im Fach Deutsch als Fremdsprache (DaF), obwohl sie für die Verständigung in der L2 von zentraler Bedeutung ist und ihre Erforschung in den letzten Jahrzehnten Ergebnisse hervorgebracht hat, die es erlauben, ihre grammatische Regelhaftigkeit zu beschreiben. Davon ist jedenfalls der Autor der hier besprochenen Studie überzeugt, die 2017 an der Universität Pisa als Dissertation angenommen wurde und eine Brücke von der prosodischen Theorie zur universitären Lehre und Sprachausbildung schlägt. Nach einer ausführlichen Darstellung zentraler Begriffe und Werkzeuge der Prosodieforschung (13–84) konzentriert sich Cosentino im praktischen Teil (85–195) auf das für die Verständigung in der L2 besonders wichtige Thema der Akzentuierung (Topik- und Fokusakzente), entwickelt ein einschlägiges Unterrichtsprojekt (5 UE), beschreibt die Erprobung mit einer Gruppe von 28 Pisaner Bachelor-Studierenden und wertet ein mit 10 Informant:innen durchgeführtes Vorlese-Experiment aus. Die Stärke der Arbeit liegt in der Darstellung vorliegender Forschungsergebnisse zur Prosodie des Deutschen und ihrer Umsetzung in einen methodisch durchdachten Unterrichtsvorschlag zum Äußerungsakzent, der anschließend erprobt und kritisch evaluiert wird. Die aus den Ergebnissen gezogenen Schlussfolgerungen bezüglich der Effektivität des Unterrichts sind aufgrund geringer Teilnehmerzahl, fehlender Kontrollgruppe und methodischer Mängel freilich kaum mehr als plausible Vermutungen.

Im Kapitel über die Grammatik der Prosodie (15 ff.) präsentiert der Autor die prosodischen Merkmale Quantität, Akzent und Ton sowie ihre phonetisch-akustischen Korrelate Dauer (in Millisekunden, ms), Intensität/Lautstärke (in Dezibel, dB) bzw. Grundfrequenz (in Hertz, Hz). Der Akzent, auditiv als Prominenz wahrgenommen, kann sich neben der Intensität (Druckakzent) auch auf Dauer (Dauerakzent), Ton (Tonakzent) und Klangfarbe (Timbreakzent) auswirken (22). Bedienen sich Ausgangs- und Zielsprache unterschiedlicher phonetischer Mittel, werden Perzeption und Produktion des (Wort- bzw. Äußerungs-)Akzents in der L2 u. U. beeinträchtigt. Laut Cosentino hat Italienisch eine Präferenz für die Dauer, Deutsch dagegen für die Intensität, während andere akustische Korrelate als „Begleiterscheinungen“ (22, vgl. 110) auftreten. An anderer Stelle (121) gelten aber sowohl „Energie“ wie „Hochtöne“ als typisch für die deutsche Akzentrealisierung. Bedenkt man zudem, dass manche Autoren (Jessen et al. 1995; Dogil 1999: 291–299) die Dauer der Silbe als primäres Korrelat betrachten, wird klar, dass hier weiterer Klärungsbedarf besteht. Die Praat-Diagramme zu den „Hauptkorrelaten des Akzents“ im Deutschen und Italienischen (109) sind jedenfalls kaum mehr als eine Illustration der angenommenen Opposition Intensität/Quantität.

Das nächste Kapitel ist der Grammatik des Akzents gewidmet, d. h. es wird dargestellt, wie Äußerungsakzente im Deutschen eingesetzt werden, um die Informationsstruktur von Aussagen, d. h. Topik und Fokus zu kennzeichnen. Abweichend von der semantischen Bestimmung im vorhergehenden Kapitel (32) avanciert hier die Prosodie zum eigentlichen Kriterium: Fokus ist definiert als „die Konstituente, die den Hauptäußerungsakzent trägt“ (37), also den am Ende von Aussagen meist fallenden Nuklearakzent (bzw. „Satzakzent“), während die hervorgehobenen vorangehenden Teile der Äußerung (d. h. des „pränuklearen Hintergrundmaterials“, 48) als Topik klassifiziert werden. Steigende Akzente gelten demnach als Topikmarker, fallende als Fokusakzent, z. B. in: „bei valen/TIno habe ich einen pulLO\ver gekauft“ (52). Damit ist ein Weg eingeschlagen, der trotz Würdigung der Fokusprojektion nach Uhmann (1991) (45 f.) und mancher Differenzierungen (53–55) steigende pränukleare Akzente prinzipiell als Topiks sieht, was im praktischen Teil unweigerlich zu Problemen führt (s. unten).

Das letzte Kapitel des theoretischen Teils ist der Grammatik des Tons gewidmet; hier wird die autosegmentale Formalisierung der Töne dargestellt, die mit binären Oppositionen (H(igh)- und L(ow)-Töne, Akzent- vs. Begleittöne) arbeitet und der unterschiedlichen Alignierung der Töne mit der Akzentsilbe (Gipfel vor/auf/nach der Akzentsilbe) abstrakte Bedeutungen zuordnet. Vor allem geht es um die Frage, ob eine akzentuierte Konstituente zum gemeinsamen Wissen von Sprecher und Hörer hinzugefügt werden soll oder nicht. Wie bei Blühdorn (2013) werden „neues“ und „altes Topik“, „neuer“ und „alter Fokus“ unterschieden (72). Auch die Kritik der klassischen satzartspezifischen Intonationsmuster (terminal, steigend, progredient) greift auf Blühdorn (2013) zurück. Überhaupt wird dieser (lesenswerte) Aufsatz des Öfteren als Leitfaden benutzt, bisweilen leider ohne Kennzeichnung (vgl. die Paraphrase von Blühdorn 2013: 270 auf S. 85).

Im zweiten Teil, der sich dem L2-Prosodie-Erwerb widmet, bietet das Kapitel Prosodie und Spracherwerb eine Zusammenfassung des diesbezüglich desolaten Zustands des DaF-Unterrichts. Cosentino nennt als Gründe die mangelnde theoretische Darstellung der Prosodie in gängigen Grammatiken, das unzureichende Unterrichtsmaterial und die mangelhafte Ausbildung der Lehrkräfte. Auch die „Angst, sich dem Vorwurf des Dilettantismus auszusetzen“ (95) könne eine Rolle spielen. Die Kritik am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (95 f.) ist berechtigt, wird aber durch den mittlerweile erschienen Companion volume (Council of Europe 2018) entkräftet. Von Interesse sind auch die Ausführungen zur Rolle der Prosodie in den vier Fertigkeiten, und zwar insbesondere beim Lesen und Schreiben.

Im Kapitel Ein Prosodie-Modul für das Germanistikstudium wird der Unterrichtsvorschlag für den auslandsgermanistischen Kontext einer italienischen Universität vorgestellt, und zwar eingeschränkt auf die Probleme der Akzentrealisierung und ‑platzierung. Das Modul umfasst fünf Unterrichtseinheiten, richtet sich an Bachelor-Studierende und beruht auf einem „Wechselspiel von imitativen und kognitiven Verfahren“ (118), unter Einschluss von Atem-, Gymnastik- und kinästhetischen Übungen (119). Zunächst geht es um die Frage der Akzentrealisierung, also um die phonetischen Korrelate des Akzents; die zweite Sitzung wendet sich der Hervorhebung der Wortakzentsilbe bei unterschiedlichen Akzentpositionen im Wort zu; bei der Übungsform des Intonationsdiktats (in 2er-Gruppen) ist außerdem die Vokalquantität zu markieren. In der dritten Sitzung lernen die Studierenden, die Akzentposition in einem Satz zu erkennen bzw. durch diesen wandern zu lassen und die zugehörigen W-Fragen zu entwickeln. Die vierte Sitzung behandelt „unterschiedliche Satzbedeutungen bei gleicher Akzentuierung“ (128), d. h. die variable Fokusprojektion bei Akzent auf dem letzten lexikalischen Teil der am tiefsten eingebetteten Konstituente, auch im Unterschied zu kontrastiven Akzenten bzw. engem Fokus. Die fünfte Sitzung schließlich ist der Akzentuierung beim Vorlesen gewidmet, das anhand von Minidialogen geübt wird. Der Autor stellt jeweils Phasen, Themen und Sozialformen vor und liefert eine kritische Evaluierung des Moduls, das mit 28 Studierenden (2. Semester) der Universität Pisa durchgeführt worden ist.

Der experimentelle Teil wird im Kapitel Dokumentation der prosodischen Kompetenz beschrieben. Versuchspersonen waren zehn Freiwillige (144), die vor und nach Durchführung des Prosodie-Moduls denselben kurzen Lesetext (eine Kurzfassung des Schneewittchen-Märchens) vorlesen sollten (die 20 Aufnahmen können lobenswerterweise von der Verlagswebseite heruntergeladen werden). Drei von ihnen hatten schulische Deutschkenntnisse, sieben nicht (145). Leider fehlen genauere Angaben zum Zeitpunkt der beiden Aufnahmen sowie zur Frage, ob es den Informant:innen möglich war, den Text vor der Aufnahme intensiv zu lesen bzw. inhaltlich zu klären. Auch bleibt offen, ob sie den Text nach der ersten Aufnahme behalten konnten, ob sie wussten, dass sie ihn noch einmal aufnehmen würden, ob der Text womöglich Gegenstand des Unterrichts selbst war usw. Da es zudem keine Kontrollgruppe gab, erscheinen Rückschlüsse auf die Effektivität des Prosodie-Unterrichts recht problematisch. Zudem stellt sich die Frage, wie aussagekräftig, gerade im Anfängerbereich, die prosodische Kompetenz beim Vorlesen ist (vgl. dazu 159).

In einem ersten Schritt ermittelt der Autor einen „Erwartungshorizont“ (146), d. h. er trägt in den ausgewählten Lesetext pränukleare Akzente, Fokusakzente sowie Grenztöne ein. Dabei kommt es in mehreren Fällen zu Ungereimtheiten bei der Klassifizierung von pränuklearen steigenden Akzenten. Deutlich wird dies z. B. in der Intonationsphrase 10 (IP10: ein /PRINZ entdeckt den /SARG mit dem schönen schneeWITT\chen\\). Aufgrund der im Kontext implizit gegebenen Frage „Und was passiert dann?“ (152) wird einerseits der ganze Satz als fokussiert eingestuft, andererseits werden „die steigend intonierten Wörter Prinz und Sarg [...] als Topiks“ (152) verstanden. Kann es also innerhalb des fokussierten Äußerungsteils Topiks geben? Ähnliche Fragen stellen sich bei IP6 und IP8. Vermutlich wäre es ratsam, die Gleichsetzung ‚pränukleare Akzente = Topiks‘ (55) aufzugeben und die Existenz der vom Autor abgelehnten (53 ff.) „prenuclear secondary Focus accents“ (Büring 1997: 58) anzuerkennen.

Im nächsten Schritt transkribiert Cosentino die 20 Lesetext-Aufnahmen der zehn Informant:innen mit steigenden und fallenden Akzenten und finalen Grenztönen (Transkripte im Anhang, 218–227). Der auditive Eindruck wird dabei mit der Grundfrequenzkurve in den Praat-Analysen abgeglichen. In der „Datenauswertung“ (157 ff.) werden ausgewählte Probleme der L2-Aussprache kommentiert und Lernfortschritte anhand von Praat-Analysen illustriert, z. B. die „Überakzentuierung“ (159) und ihre partielle Überwindung (160 f.), die Verminderung der Zahl von Intonationsphrasen (163–166) oder das Phänomen der Listenintonation (Abfolge steigender Fokusakzente, 167–171), das sich in einigen Fällen verbessert hat. Die Analyse der akustischen Korrelate des Akzents (162), d. h. von Intensität (dB) und Dauer (ms), beschränkt sich auf 5 der 10 Teilnehmer:innen und auf die beiden Akzentsilben in „es war EINmal eine prinZESsin“. Bei beiden Silben zeigt sich eine Verkürzung der mittleren Dauer (von 0,17 auf 0,13 ms bzw. von 0,41 auf 0,35 ms), aber nur bei der Fokusakzentsilbe „ZES“ auch eine höhere Intensität (von 78,21 auf 80,24 dB). Unklar bleibt, welchen Einfluss das insgesamt stark gestiegene Sprechtempo hatte und ob die Änderungen signifikant sind. Im Abschnitt über die „Auswahl des Fokusexponenten“ (171 ff.) ist zu erfahren, dass die Proband:innen erwartungsgemäß keine Probleme mit äußerungsfinalen Fokusexponenten hatten (172–179). Die für italophone Lernende schwierigen nichtfinalen Fokusakzente, die im Prätest nie auftraten, wurden beim Posttest von einigen Informant:innen vor rechten Verbklammern (180–184) bzw. vor postnuklearem Hintergrundmaterial (184–190) realisiert. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass solche punktuellen Verbesserungen der Teilnahme am Prosodie-Unterricht zu verdanken sind (vgl. das Fazit, 190–192), ein echter empirischer Beleg würde jedoch ein stärker kontrolliertes und dokumentiertes Vorgehen (besonders hinsichtlich Verständnis und Bekanntheit des Lesetextes), eine Kontrollgruppe und statistische Auswertung erfordern. Auch wäre zu überlegen, ob ein anderes experimentelles Design (z. B. Map-Task) nicht validere Aussagen über die prosodische Kompetenz im mündlichen Ausdruck erlauben würde. Immerhin findet, wer sich auf dieses komplexe Forschungsfeld begeben will, in der Studie von Cosentino eine Fülle von Anregungen und eine Ausgangsbasis für weitergehende Studien.

Literatur

Blühdorn, Hardarik (2013): „Intonation im Deutschen – nur eine Frage des schönen Klangs?“. In: Pandaemonium Germanicum. Revista de Estudos Germanísticos 22, 242–278. Online: https://www.revistas.usp.br/pg/article/view/80113/83995 (9.9.2021).10.1590/S1982-88372013000200013Search in Google Scholar

Büring, Daniel (1997): The Meaning of Topic and Focus. The 59th Street Bridge Accent. London: Routledge.Search in Google Scholar

Council of Europe (Hrsg.) (2018): Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment. Companion volume with new descriptors. Strasbourg: Council of Europe Publishing. Search in Google Scholar

Dogil, Grzegorz (1999): „The phonetic manifestation of word stress in Lithuanian, Polish, German and Spanish“. In: Hulst, Harry van der (Hrsg.): Word prosodic systems in the languages of Europe.Berlin: Mouton de Gruyter, 273–311.Search in Google Scholar

Jessen, Michael; Marasek, Krzysztof; Schneider, Katrin; Clahßen, Kathrin (1995): „Acoustic correlates of word stress and the tense/lax opposition in the vowel system of German“. In: Elenius, Kjell; Branderud, Peter (Hrsg.): Proceedings of the 13. International congress of phonetic sciences: ICPhS 95: Stockholm, Sweden, 13-19 August, 1995. Stockholm: Royal institute of technology, vol. 4, 429–431. Search in Google Scholar

Uhmann, Susanne (1991): Fokusphonologie: eine Analyse deutscher Intonationskonturen im Rahmen der nicht-linearen Phonologie. Tübingen: Niemeyer.Search in Google Scholar

Published Online: 2022-04-12
Published in Print: 2022-04-07

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 18.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/infodaf-2022-0021/html
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